Grüne Liebe - Sexualität im Pflanzenreich

„Was? Sex im Pflanzenreich? So etwas gibt es doch gar nicht!“ - Das werden sich vielleicht einige denken. Doch Sex ist nicht nur den Tieren vorenthalten, sondern ist auch unter den Pflanzen und den Pilzen sowie unter den Bakterien weit verbreitet. Per Definition ist unter sexueller Fortpflanzung alles zusammengefasst, was durch meiotische Abläufe hervorgegangen ist, also durch Meiose (1).


Carl Linné (2) hat den Pflanzen menschliche Liebesbedürfnisse zugeschrieben:
„Sogar die Pflanzen werden von Liebe erfasst … Männer und Frauen … vollziehen die Ehe … zeigen durch ihre Geschlechtsorgane, wer männlich und wer weiblich ist. Die Blütenblätter dienen als Brautbett, welches der Schöpfer so großartig angeordnet hat, so üppig geschmückt mit edlen Bettvorhängen, parfümiert mit so süßen Düften, dass der Bräutigam und die Braut hier ihre Hochzeitsnacht mit umso größerer Erhabenheit feiern können.“ [1]


1790 wurde von Christian Konrad Sprengel etwas auf den ersten Blick eigenartiges entdeckt: „Die Natur scheint es nicht haben zu wollen, dass eine Blüte von ihrem eigenen Staube befruchtet würde“ [2]


Aber wieso? Ist es nicht einfacher auf die aufwendigen und farbenprächtigen Strukturen zu verzichten und seine Energie lieber in etwas Sinnvolleres zu stecken, indem die Pflanzen sich einfach alle selbstbestäuben? - Das mag auf den ersten Blick vielleicht stimmen, doch Sexualität durch Fremdbestäubung bringt qualitative Vielfalt hervor, wenn man bedenkt, dass alle Nachkommen einer selbstbestäubenden Pflanze im Grunde genommen das gleiche Erbmaterial und demzufolge auch dieselben Merkmale besitzen, also ein Klon sind. Diese Klone könnten zum Beispiel Gendefekten nichts entgegensetzen. Ihre Gene würden unter Umständen immer weiter verkümmern.


Selbstbestäubung kann durch verschiedene Mechanismen vermieden werden. Eine Möglichkeit ist, dass die Pflanzen einer Art jeweils nur rein männliche und nur rein weibliche Pflanzen ausbilden. Man sagt, dass die Art zweihäusig ist. Männliche Strukturen sind dabei nur an den Pollenpflanzen und weibliche nur an den Eizellenpflanzen zu finden.
Eine weitere Möglichkeit ist die Selbstinkompatibilität, wobei es zu keiner Befruchtung der Eizelle kommt, wenn das Pollenkorn von derselben Pflanze stammt.
Die letzte Methode zur Vermeidung der Selbstbestäubung, die hier angesprochen werden soll, ist durchaus einfach, aber auch effektiv. Sind beispielsweise die Pollensäcke (männliche Strukturen) reif, dann sind die Fruchtknoten (weibliche Strukturen) noch nicht empfänglich. Letztere werden erst zu einem späterem Zeitpunk
t reif, wenn die zugehörigen Pollensäcke bereits die Pollenkörner verbreitet haben. Möglich ist auch, dass erst die weiblichen Strukturen reif sind und dann die männlichen.


Somit keimt in die Fruchtknoten meist nur Pollen von anderen Pflanzen aus, womit eine genetische Vielfalt der Nachkommen gesichert ist. Die Merkmale der Elterngenerationen werden neukombiniert und es entstehen neue Phänotypen. Erst durch diese genetische Vielfalt kann die Selektion erfolgreich ansetzen. Dabei werden diejenigen Pflanzen mit den benachteiligten Eigenschaften meist durch die Pflanzen auskonkurriert, die Merkmale besitzen, welche in den jeweiligen vorherrschenden Bedingungen Vorteile bringen.


Nun ist es noch von großem Vorteil, wenn möglichst diejenigen Pollenkörn
er auf die Narbe treffen, die von der gleichen Pflanzenart kommen, denn artfremde sind meist nicht kompatibel.
Das Auffinden potentieller Sexualpartner im Pflanzenreich ist etwas komplizierter als bei den
Tieren, denn Pflanzen können sich in der Regel nicht fortbewegen, haben keine Auge und auch keine Ohren um auf Reize eines Partners „aufmerksam“ zu werden. Deshalb sind sie auf die Hilfe von Tieren, Wasser oder Wind angewiesen.


Erfolgt die Fremdbestäubung durch Wind, spricht man von der Anemogamie (griechisch: anemos = Wind) bzw. Anemophilie (griechisch: philos = der Freund), also der „Freundschaft mit dem Wind“. Dabei werden die Pollen durch den Wind transportiert und fallen nur durch Zufall auf eine Narbe. Damit die Wahrscheinlichkeit trotzdem groß ist, dass dieses Ereignis auch eintritt, wird eine reichliche Menge an kleinen Pollen produziert und die Empfängernarben sind groß und exponiert. Die Süßgräser (nebenan im Bild) sind ein typisches Beispiel für die Anemophilie.


Bei der Hydrogamie oder -philie (griechisch: hydros = Wasser) handelt es sich, wenn die Fremdbestäubung durch das Transportmedium Wasser erfolgt. Die Pollenkörner sind meist extrem vergrößert und sie schwimmen entweder oberhalb, auf oder unterhalb der Wasseroberfläche. Durch Verklumpen entstehen oft Pollenverbände, die so lange umher treiben bis sie z. B. auf die langen Narben von zum Beispiel Wasserpflanzen (nebenan Drachenwurz) treffen.


Die meisten Pflanzen mit prachtvollen, wohlduftenden und farbenfrohen Blüten werden durch Tiere (meist Insekten oder manchmal auch durch Vögel) bestäubt. Als Belohnung für ihre Dienste bzw. zur Anlockung dienen Nektar, Pollen oder Schutz. Durch die Farb- und Duftmale wird der Weg zum Nektar gezeigt. Später, wenn die Narbe bereits bestäubt wurde, wird die Blütenfarbe abgebaut, was gleich bedeutet, dass kein Nektar mehr zu holen ist. Durch spezialisierte Blütenformen wird erreicht, dass nur bestimmt Tiere die Pflanzenblüte erreichen und den Nektar aufsammeln. Dadurch bleibt Pollen an den Beinen oder auf dem Rücken hängen und die nächste angesteuerte Blüte ist von derselben Art und wird mit dem Pollen der vorhergehenden Blüte bestäubt.


Was allen Blütenpflanzen gemeinsam ist, egal ob selbst- oder fremdbestäubt, dass nach der Bestäubung ein Pollenschlauch durch den Griffel bis zum Fruchtknoten wächst. Dieser entlässt Kerne in die weibliche Eizelle. Nach der Verschmelzung entsteht die Zygote, woraus sich nach einiger Zeit der Vorkeim und später eine neue Pflanze entwickelt.




Anhang:

(1) Näheres zur Meiose unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Meiose

(2) Infos zu Carl Linné gibt es hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Linné


Quellen:

[1] Bill Bryson 2005: „Eine kurze Geschichte von fast allem“
[2] C. K. Sprengel 1793: „Das entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und in der
Befruchtung der Blumen“

Bilderverzeichnis:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/thumb/a/a9/Lilie05.jpg/800px-Lilie05.jpg



1 Kommentar:

  1. hey :) vielleicht noch ein kleiner Literaturhinweis hierzu:

    Londa Schiebinger: "Das private Leben der Pflanzen: Geschlechterpolitik bei Carl von Linné und Erasmus Darwin". In: Orland/Scheich: Das Geschlecht der Natur. Suhrkamp, 1995.

    In jedem Fall wird aus solchen Betrachtungen besonders - hier historisch - deutlich, wie Biologie gesellschaftliche Vorannahmen auf "wissenschaftlicher Ebene" reproduziert.

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