Wer stärker zieht gewinnt – Proteine streiten um Sauerstoff


In unseren Erythrocyten gibt es ein Protein, dass für die Bindung von Sauerstoff verantwortlich ist: das Hämoglobin. Das wird man vielleicht schon mal in der Schule gehört haben. Was einem dort aber nicht erzählt wird, ist, dass dieses Protein nicht der einzige Sauerstoffträger in unserem Körper ist. Neben dem Hämoglobin in unserer Blutbahn existiert das Myoglobin in unseren Muskeln. Doch, warum haben wir zwei verschiedene sauerstoffbindende Proteine in uns? Die Antwort ist logisch wie einleuchtend. Dafür müssen wir nur etwas tiefer in die Materie eindringen.

Jede Zelle unseres Körpers benötigt Sauerstoff zum Leben, also für biochemische Reaktionen. Die Blutbahnen, die den Körper mit sauerstoffreichem Blut versorgen, verkleinern sich in immer dünnere Verästelungen, den Kapillaren. Diese sind immer noch nicht klein genug um jede Zelle direkt mit Sauerstoff zu beliefern. Aber immerhin dünn genug, dass unsere roten Blutkörperchen, die Erythrocyten stark an die Aussenwände der Kapillare gedrückt werden. Von dort wird der Sauerstoff aus den Erythrocyten in die Gewebe "gesogen". Dieser Sog ist eine Diffusion. Das heißt, dass der Sauerstoff einem Gradienten nachgibt und die Blutbahn "verlässt". Denn dort ist die Konzentration hoch und im Körper ist sie niedriger. Da Teilchen immer das Bestreben haben Gradienten abzubauen, diffundiert der Sauerstoff aus den Kapillaren heraus und in die Zellen. Gegebenenfalls geht es mit dem Sauerstoff von dort wieder durch Diffusion weiter in die nächste Zelle´, bis zu dem Ort, an dem er verbraucht wird.

Doch zurück zur Fragestellung, warum gibt es dieses Myoglobin? Einen ersten Hinweis liefert der Name. Myo, das steht für Muskel. Und richtig, Myoglobin ist ein besonderes Protein, dass in den Muskeln vorkommt. Muskeln verbrauchen viel Energie. Diese kommt u. a. aus aeroben Prozessen, bei denen Sauerstoff benötigt wird. Um die Muskeln mit ausreichend Sauerstoff versorgen zu können, gibt es das Myoglobin, dass sich in den Muskelzellen befindet. Es unterscheidet sich vom Hämoglobin dadurch, dass es eine höhere Affinität zur Bindung von Sauerstoff hat. Das heißt, es "zieht" mit größerer Kraft am Sauerstoff. Der Sauerstoff wird dem Hämoglobin förmlich entrissen, wenn es die Muskeln passiert. Das ist der Grund, warum es Myoglobin gibt.


Nun ist aber Myoglobin nicht das einzige interessante Protein, dass eine höhere Sauerstoffbindungsaffinität im Vergleich zum Hämoglobin aufweist. Es wird nämlich zwischen adultem (Erwachsene) und fetalem Hämoglobin unterschieden. In der Tat hat das Hämoglobin eines Foetus (HBF) eine höhere Affinität. Und was soll das?

Wenn wir uns veranschaulichen, in welcher Situation sich der Foetus im Mutterleib befindet, wird es uns schnell klar. Die einzige Verbindung, die zwischen Mutter und Kind besteht ist die Plazenta. Hier muss alles Wichtige zum Kind gelangen: Nährstoffe und vor allem Sauerstoff. Da aber durch die Blut-Plazentaschranke kein sauerstoffreiches Blut von der Mutter zum Kind gelangen kann, hat die Natur auf die Idee vom Myoglobin zurück gegriffen. Das HBF "zieht" sozusagen den Sauerstoff vom adulten Hämoglobin der Mutter ab.

ERGÄNZUNG

Eine Frage, die mir vor kurzem gestellt worden ist, möchte ich hier noch anhängen, da sie zum Thema passt: Warum hatte die Evolution nicht alle Organismen mit einer hohen Sauerstoffaffinität ausgestattet?

Die Antwort ergibt sich durch eine einfache Überlegung: der Sauerstoff muss bei seinem Transport immer wieder das Transportmittel wechseln (Hämoglobin in Erythrocyten zu Myoglobin in der roten Muskulatur zum Beispiel). Auch in den Zellen wird der Sauerstoff über Proteine transportiert. Damit dieser Vorgang energiefrei abläuft, muss die Affinität zwischen jedem Schritt ansteigen. Damit der Sauerstoff aber am Ziel mit möglichst wenig Aufwand auch entfernt werden kann, darf die Affinität des letzten Transporters auch nicht zu hoch sein.

Ist die Bindung des Sauestoffatoms am Träger zu hoch, kommt es zur Vergiftung. So zum Beispiel bei Kohlenmonoxid (CO). Hier bindet das Sauerstoffatom so stark am Hämoglobin der Erythrocyten, dass es nicht mehr "abgerissen" werden kann. Den Zellen steht also kein Sauerstoff zur verfügung, sie sterben ab.

Ein weiterer interessanter Punkt ist der folgende: Über unser Leben hinweg vollzieht sich eine Änderung der Zusammensetzung unseres Hämoglobins. Immer besitzen wir 2 alpha Ketten. Daneben gibt es aber auch die gamma Ketten, die wir im Embryonalstadium besitzen. Sie sind wichtig für die oben angesprochene unterschiedliche Sauerstoffaffinität.

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