Wenn sich Bakterien beeinflußen - Das Quorum sensing

Es ist immer gut, wenn man seine Umgebung kennt. Im Alltag schätzen wir sekündlich unsere Umgebung ab. Beim Laufen achten wir darauf mit niemanden zusammenzustoßen, an der Kasse schauen wir, an die möglichst kurze Schlange zu kommen, beim Fußball behalten wir den Gegner immer im Auge. Wir sind also immer dabei, unsere Umgebung zu untersuchen, die Entfernung und die Geschwindigkeit, aber auch die Zahl anderer Individuen oder von Gegenständen abzuschätzen. Das ist gar nicht so einfach, doch unsere Sinne arbeiten perfekt zusammen. In unserem Hirn wird etwa alle sieben Sekunden ein neues Bild der Umgebung durch Hören, Sehen und Riechen erstellt. Doch bevor hier wieder das Schwärmen über unsere großartige Großhirnrinde ausbricht, kommen wir lieber auf den Punkt.

Es sieht zumindest so aus, als ob nur Individuen mit einem Sinnessystem, ähnlich dem unseren, in der Lage sind ihre Umgebung einzuschätzen. Doch das ist weit gefehlt. Denn sogar die Kleinsten, die Bakterien, wurden durch die Evolution mit einem System ausgestattet, dass ihnen die Fähigkeit vermittelt, Individuen ihrer Art zu "riechen". Doch wie funktioniert dieses System und wozu benötigen Bakterien dieses?

Nun, wie immer, ganz an den Anfang. Wie wir uns sicher schnell einig werden, sind Bakterien zu klein um ein Seh-, oder Hörsystem zu besitzen, womit sie ihre Artgenossen wahrnehmen könnten. In dieser Skalierung wäre das rein physikobiologisch nicht denkbar. Es muss also ein anderes System her und dieses ist dem Biolaien sicher bekannt. Es funktioniert im Prinzip wie die Rezeption von Cortison bei uns Menschen. Dort durchdringt das Hormon die Zellmembran und wird direkt im Kern aktiv, indem es dort Gene aktiviert oder inhibiert.

Bei Bakterien ist das wie gesagt ähnlich. Hier handelt es sich aber nicht um Cortison, sondern um eine Verbindung mit dem Namen AHL (acetyliertes Honoserinlacton, unten sind drei verschiedene Formen abgebildet). Diese Verbindung hat einen Rest, der von Bakterienart zu Art verschieden ist. Das ermöglicht die eindeutige Erkennung zwischen den Spezies. Jedes Bakterium mit der Fähigkeit zur Bildung von dieser Substanz, tut dieses auch und gibt AHL an die Umgebung ab. Die Verbindung ist gut diffundierbar und verflüchtigt sich mit zunehmender Entfernung.

Sind nur wenige Bakterien an einem Ort, so hat das AHL keinen Einfluß auf sie. Nimmt aber die Anzahl der Bakterien zu, so steigt auch die Konzentration des AHLs in ihrer Umgebung. Ist ein bestimmter Pegel überschritten, bewirkt das AHL seine eigene Synthese. Bei dieser kritischen Dichte wird also mehr AHL von allen Bakterien gebildet. Diese erhöhte Konzentration ermöglicht es nun, dass AHL an ein Aktivatorprotein binden kann. Dieser Komplex kann nun die Expression von Genen im Bakteriengenom steuern.

Welche Antworten können das sein? Das System von dem wir hier sprechen wird von Biologen auch als Quorum sensing bezeichnet. Hierbei steht das Wort Quorum für ausreichende Anzahl. Und in ausreichender Zahl müssen zum Beispiel Pathogene (Krankheitserreger) sein, um nicht gleich von der Immunabwehr besiegt zu werden. Kolonien von Pseudomonas aeruginosa (rechts im Bild) gehen, in ausreichender Menge vorhanden, in einen viskoseren, schleimigen Zustand über, der als Biofilm bezeichnet wird. Dies erreichen die Bakterien durch die Produktion eines spezifischen Polysaccharids. Der Film verhindert das Eindringen von Antibiotika und erhöht somit die Toxizität der Bakterien. Das Gen für die Produktion des Polysaccharids wird durch AHL gesteuert.

Ein anderes Beispiel sind die Vibrio fischeri (rechts im Bild) Bakterien, die die Fähigkeit zur Biolumineszenz besitzen, wenn sie in ausreichender Dichte (10^11) vorkommen. Sie können also von selbst leuchten. Es ist noch nicht geklärt, warum das Leuchten der Bakterien dichteabhängig ist und warum sie überhaupt leuchten. Zumindest können sie nur dann leuchten, wenn die Bedingungen so gut sind, dass sie sich zu einer so großen Population vermehren können.

In anderen Fällen kann das Quorum sensing verhindern, dass zu viele Bakterien einen zu kleinen Raum besiedeln. Darum kann man in Laborversuchen die sogenannte stationäre Phase im Bakterienwachstum beobachten. Durch AHL wird verhindert, dass mehr Bakterien gebildet werden und zu schnell alle Ressourcen aufgebraucht sind. Das AHL-System erklärt damit auch die sinusartigen Schwankungen in der Bakterienzahl über die Zeit. Damit die Inhibierung der Bakterienbildung wieder aufgehoben wird, müssen zunächst einige Bakterien sterben. Dadurch fällt der AHL-Spiegel und ermöglicht damit die Expression von Genen, die die Vermehrung steuern.
Manchmal steckt mehr in den Dingen, die wir für so klein halten



Bildnachweis:
www.sxc.hu/browse.phtml?f=download&id=765694 by lusi
http://www.sxc.hu/browse.phtml?f=download&id=323470 by Guekkiko
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b3/Pseudomonas.jpg
http://serc.carleton.edu/images/microbelife/topics/marinesymbiosis/vibrio_fischeri_1145457864.jpg (
This micrograph shows fluorescently stained Vibrio fischeri cells. Image taken by E Nelson and L Sycuro, provided courtesy of the Vibrio fischeri Genome Project.)

Quellen: Brock Mikrobiologie. M. Madigan, John Martinko. Aufl. 11. Pearson Spektrum Verlag

4 Kommentare:

  1. Gelungener Artikel. Freue mich schon auf den Nächsten ;)

    Da Ihr hier und da mal Wörter verwendet die nicht gerade geläufig sind (z.B. inhibiert) - kann mich da auch täuschen ;) , wäre es schön, wenn es Querverweise zu weiterführenden Informationen wie Wikipedia o.ä. geben würde.

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  2. Vielen Dank für diese Rückmeldung. Wir werden uns intern überlegen, wie wir die Verständlichkeit unserer Posts für Laien erhöhen können.

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  3. sehr hilfreicher Atikel ..Danke

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  4. Bedenkt bitte aber anderseits auch, daß möglichst viele fachbezogene Fremdwörter
    sehr nützlich zum kombinieren bei der eigenen weiteren Netzrecherche sein können ...

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